MESSTECHNIK

Nachrüstung eines alten französischen Wasserkraftwerks

3D-Scanner für Turbinen

Im französischen Juragebirge stand der Ingenieur Damien Delmont mit seinem handgeführten 3D-Scanner Artec Eva in einer langen Betonröhre und starrte in die Dunkelheit hinauf zu der unbeweglichen Turbine vier Meter über ihm. Darin hielten zwei alte Ventile Millionen von Litern strömendes Wasser auf der anderen Seite zurück. Es war an der Zeit, das veraltete Wasserkraftwerk mit zwei neuen Turbinen auf Basis modernster Scantechnologie nachzurüsten.

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In den folgenden Stunden erfassten Delmont und sein Projektpartner Guillaume Demarche jeden Quadratmillimeter des massiven Saugrohrs, indem sie mit Hilfe eines Gerüsts in den oberen Bereich der Struktur unter der Turbine hinaufstiegen. Das Team musste schnell arbeiten. Jede zusätzliche Stunde, in der die Turbine abgeschaltet blieb, bedeutete einen Einnahmeverlust für das Kraftwerk, das bei voller Leistung mehr als 10 Megawatt Strom erzeugt – genug, um 5.000 Haushalte zu versorgen. Erschwerend kam hinzu, dass das Werk zuletzt im Ausnahmezustand betrieben wurde und kurz vor der Evakuierung stand, da der Wasserstand des Flusses bis zur Hochwasserstufe gestiegen war.

Nachrüstung nach 87 Jahren

Das Wasserkraftwerk wurde im Jahr 1934 von deutschen Ingenieuren nach dem ersten Weltkrieg gebaut und ist seitdem in Betrieb. Als es an der Zeit war, die ersten zwei der insgesamt vier Francis-Turbinen des Kraftwerks zu ersetzen, erkannte der mit dem Projekt beauftragte Bauunternehmer schnell die Komplexität der vor ihm liegenden Aufgabe. Für den Entwurf optimal funktionierender Einheiten für die Anlage musste der Turbinenhersteller zunächst die genauen Abmessungen der riesigen, unregelmäßig geformten Saugrohre in Erfahrung bringen. Diese dienen zur Abfuhr des Wassers, damit dieses durch die Turbinen und anschließend in den Fluss abgeleitet werden kann. Bei ungenauen Messungen würden die Turbinen nicht die angegebene elektrische Leistung erbringen und somit die Leistungsstandards der Anlage nicht erfüllen. Im schlimmsten Fall können fehlerhafte Messungen nicht nur zu Leistungsverlusten, sondern auch zu Kavitation und hohen Turbinenvibrationen sowie zu schwerwiegenden Unfällen führen.

Die ursprünglichen Pläne der Saugrohre existieren zwar noch, doch haben sich ihre Maße in den fast neun Jahrzehnten seit ihrer Anfertigung enorm verändert. So konnten die ursprünglichen Angaben nicht mehr als zuverlässige technische Dokumentation verwendet werden. Abgesehen von den unmittelbaren physischen Schäden an der Anlage drohen dem Turbinenhersteller und dem Projektträger bei Nichteinhaltung der Spezifikationen schwere Strafen wie Geldbußen sowie Rufschädigung. Die herkömmlichen Messmethoden waren nicht ausreichend, um die Rohre innerhalb des Projektzeitrahmens genau zu dokumentieren. 

Deswegen wandte sich der Auftragnehmer an Damien Delmont von 3DLM, einem Spezialisten für Engineering und 3D-Scannen für industrielle Anwendungen, inklusive Nachrüstung, Inspektion und das Reverse Engineering von alten Strukturen und Komponenten. Delmont erläutert: „Hätten die Zugrohre eine einfache geometrische Form, könnten sie leicht mit herkömmlichen Werkzeugen gemessen werden. Aber das war nicht der Fall. Deshalb haben wir uns für 3D-Scans entschieden, um millimetergenaue CAD-Modelle dieser Rohre zu erstellen.“

Scannen ermöglicht Erfassung des überdimensional großen Objekts

Als Delmont vor einigen Jahren sein Ingenieurbüro gründete, machte er sich auf die Suche nach einem 3D-Scanner, der seine hohen Anforderungen erfüllte. Nachdem er sich mit dem Gold-zertifizierten Artec Partner Boreal 3D in Verbindung gesetzt und Demarche getroffen hatte, wurde ihm bald ein dreidimensionaler Scanner von Artec 3D präsentiert. Artec Eva ist ein professioneller handgeführter 3D-Scanner mit Submillimeter-Genauigkeit, der von Ingenieuren und anderen Spezialisten weltweit eingesetzt wird.

„Diese Art von Projekt erforderte die Einhaltung strenger Fristen“, so Delmont. „Mit Artec Eva konnten wir innerhalb weniger Stunden die gesamten zwölf Meter des Saugrohrs so präzise erfassen, dass das CAD-Modell für die Analysen und CFD-Simulationen, die für den Bau der neuen Turbine erforderlich waren, verwendet werden konnte. Hätten wir die Ergebnisse nicht innerhalb des angegebenen Zeitrahmens geliefert, wären alle anderen Projektteilnehmer in Mitleidenschaft gezogen worden. Das hätte auch unsere Chancen auf eine Teilnahme an künftigen Projekten geschmälert.“

Angesichts des nahenden Abgabetermins sowie der Größe und Komplexität des Projekts wurde Guillaume Demarche zur Unterstützung hinzugezogen. Nach sorgfältiger Planung erreichten sie das Wasserkraftwerk und legten ihre weitere Strategie fest. Um die Scans während der Verarbeitungsphase in der Software Artec Studio schneller ausrichten zu können, wurde die Wand des Zugrohrs mit Sprühfarbe behandelt, um zehn separate Abschnitte für das Scannen zu kennzeichnen. Durch dieses abschnittsweise Vorgehen waren die Spezialisten außerdem besser auf Notfälle vorbereitet, die eine sofortige Evakuierung aus dem Saugrohr erforderlich gemacht hätten. Denn: Während das Team scannte, war das Wasser nur zehn Zentimeter von der Oberkante des Dammes entfernt und damit unmittelbar vor dem Abschnitt, in dem sich die beiden Männer befanden. Sicherheitsingenieure überwachten auf dem Damm konstant den Wasserstand. Hätte sich das Wetter auch nur ein paar Kilometer flussaufwärts verschlechtert, wäre der Wasserstand auf ein gefährliches Niveau angestiegen. In diesem Fall hätte das Team weniger als eine Minute Zeit gehabt, die gesamte Ausrüstung einzupacken und aus dem Saugrohr zu entkommen.

Scannen in Dunkelheit und umringt von Wasser

Ein ständiger Hinweis auf das Risiko war das Wasser, das in das Saugrohr strömte – etwa zehn Liter pro Minute, die durch die Ventile oberhalb flossen. Im Gegensatz zu Ventilen und Wasserhähnen in Privathaushalten sind diese älteren Ventile so konzipiert, dass sie nur geringe Wassermengen durchlassen. Um die unmittelbare Gefahr eines Wasserschadens zu vermeiden, baute das Team einen behelfsmäßigen Holztisch, auf dem es die Computer und Geräte abstellte.

Das Wasser beeinträchtigte die Abtastung keineswegs. „Obwohl der Boden des Saugrohrs an einigen Stellen bis zu zwei Zentimeter hoch mit Wasser bedeckt war, hat Artec Eva diese Bereiche optimal gescannt”, so Delmont. „Manche 3D-Scanner haben selbst mit einer dünnen Wasserschicht Probleme. Das was aber bei Artec Eva nicht der Fall. Um ganz sicher zu gehen, habe ich diese Bereiche mit Lasertelemetrie überprüft und festgestellt, dass die Messungen absolut präzise waren. Artec Eva erwies sich als ideal geeignet für diese Art von Arbeit. Der Scanner ist äußerst präzise und ermöglicht es uns, in einer feucht-nassen und damit technikfeindlichen Umgebung, in völliger Dunkelheit und ohne Steckdosen zu scannen”, so Delmont. Das Scannen eines jeden Abschnitts dauerte etwa eine halbe Stunde. Die gesamte Röhre war in etwa fünf Stunden erfasst.

 

Erstellung von CAD-Modellen für Nachrüstungen und Inspektionen 

Beim Scannen entdeckte Delmont eine fünf bis zehn Millimeter dicke Mineralschicht an den Wänden der Saugrohre, die sich im Laufe der Jahrzehnte durch die unzähligen Millionen Liter Wasser, die durch die Rohre geflossen waren, abgelagert hatte. Solche Ablagerungen beeinflussen die Strömungseigenschaften durch das Rohr und mussten im resultierenden 3D-Modell genau dokumentiert werden, da sonst die anschließenden CFD-Simulationen nicht die tatsächlichen Durchflussraten des Wassers widerspiegeln würden.

Nach dem 3D-Scannen war es an der Zeit, die Scans zu einem CAD-Modell zu verarbeiten. „Die Scanverarbeitung in Artec Studio war kein großer Aufwand und ermöglichte es uns, innerhalb des geplanten Zeitrahmens zu bleiben“, erläutert Demarche. „Nach einer minimalen Bereinigung habe ich die zehn gescannten Abschnitte ausgerichtet und ein einziges 3D-Modell erstellt, das alle Oberflächen des gesamten Zugrohrs umfasst.“

Im Anschluss daran nutzte Delmont die Scan-to-CAD-Funktionen von Artec Studio, um das 3D-Modell des Saugrohrs mit CAD-Primitivformen zu versehen. Anschließend exportierte er diese Formen als STP-Dateien in SOLIDWORKS, die er als Referenzen für das Skizzieren, Zeichnen und Extrudieren des CAD-Modells des Saugrohrs verwendete.

Delmont unterstreicht die Bedeutung der Scan-to-CAD-Funktionalität: „Wenn eine Phase des Arbeitsablaufs zu viel Zeit in Anspruch nimmt, verringert dies unsere Effizienz und erhöht unsere Kosten. Damit werden unsere Chancen geschmälert, wettbewerbsfähig zu bleiben und neue Projekte zu gewinnen. Indem wir nur wenige Augenblicke nach dem Scannen eines Objekts CAD-Primitive direkt aus dem Scan in Artec Studio erstellen, verkürzen wir den Arbeitsablauf immens, ohne dabei Abstriche bei der Qualität zu machen.“

Erfasst ab dem ersten Scan

Delmont fügt hinzu: „Artec Eva ermöglicht es, alle Dimensionen eines massiven und ungleichmäßigen Objekts wie einem Wasserkraftwerk auf Anhieb zu erfassen. Dies bedeutet, dass keine zweite Scanrunde erforderlich ist und die Anlage nicht erneut angehalten werden muss. Wenn man mit der Verarbeitung der Scans beginnt und feststellt, dass einige Oberflächendaten fehlen, kann die Rückkehr zur Anlage und das Anhalten der Turbinen für den Kunden sehr teuer werden, da ihm Einnahmen entgehen. Wenn wir einen Scanauftrag mit Artec Eva abschließen, können wir mit Gewissheit davon ausgehen, dass alle Daten bis auf den letzten Millimeter vorhanden sein werden.“

Nach der Fertigstellung des CAD-Modells – weit vor Ablauf der Frist – schickte Delmont es an den Kunden, der es wiederum an den Turbinenhersteller weiterleitete. Das Modell entsprach allen Spezifikationen und wurde sofort für CFD-Simulationen und andere Analysen verwendet.

Wochen später kehrte das Team zum Wasserkraftwerk zurück, scannte das zweite Saugrohr und erstellte im bewährten Arbeitsablauf ein CAD-Modell.

 

Präzise CAD-Modelle für künftige Nachrüstungen

Da die CAD-Modelle beider Rohre zur Verfügung stehen, können sie auch als Referenzmodelle für die Inspektion der Rohre mittels 3D-Scannen verwendet werden, etwa in der Software Artec Studio. Alle Unterschiede zwischen dem CAD-Modell und dem Scan werden in einer einfach lesbaren farbigen Wärmekarte angezeigt. „Die größte Herausforderung bei der Nachrüstung von sehr großen Objekten wie den Saugrohren mit verschiedenen Abschnitten unterschiedlicher Komplexität besteht darin, ein optimales Maß an Genauigkeit zu erreichen – und gleichzeitig die eigene Art des Retro-Engineerings an jedes einzelne Projekt anzupassen. Bei jedem Projekt, das ich mit Artec Eva durchgeführt habe, erwies sich der 3D-Scanner als eine hilfreiches Werkzeug, wenn keine Originalzeichnungen oder -dokumente gefunden werden konnten. Und das ist immerhin bei etwa 70 Prozent aller Nachrüstungsprojekte, mit denen wir bislang zu tun hatten, der Fall. Mit Artec Eva erstelle ich präzise Messungen und CAD-Modelle von Objekten jedweder Größe, ob nur wenige Zentimeter oder viele Meter lang. Die daraus resultierenden CAD-Modelle sind unverzichtbar für jedwede Art von Zwecken – von Nachrüstungen über Inspektionen bis hin zur Wartung und vielem mehr.“ Heute gibt es allein in Frankreich Dutzende solcher alter Wasserkraftwerke, die nachgerüstet werden müssen – und weltweit Hunderte oder gar Tausende.