SCHUTZSYSTEME




Expertenpapier der DWA

Hochwasser in Deutschland 2023/24 

Die Bedeutung der erfolgten Anstrengungen zum Schutz der Menschen und der Vermögenswerte vor Hochwasser wird durch die aktuellen Hochwasserereignisse in Deutschland deutlich. Gleichzeitig werden deutlich die Defizite und der Handlungsbedarf sichtbar. Auf der Grundlage der derzeitigen hydrologischen Erkenntnisse ist das aktuelle Hochwasser in seiner Ausprägung nicht mit den Hochwassern in der Eifel 2021, an der Elbe 2002 oder an der Elbe und Donau 2013 zu vergleichen. Es werden bei weitem nicht die Überschreitungen der höchsten bisher beobachteten Hochwasser erreicht. In einem Expertenpapier der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) erfolgt eine vorläufige Einordnung des Winterhochwassers 2023/2024 und werden Empfehlungen aus den DWA-Hauptausschüssen „Wasserbau und Wasserkraft“ und „Hydrologie und Wasserwirtschaft“ ausgesprochen. 

Planmäßig, erwartbar: In vielen vom Hochwasser betroffenen Gebieten passiert das, was man erwarten muss und auf das man sich auch eingerichtet hat. Dazu gehören auch großflächige Überflutungen. Das war in vielen Fällen so vorherzusehen und kann auch nie vollständig verhindert werden. Ein Blick in die Hochwassergefahren- und -risikokarten der betroffenen Flusssysteme bestätigt dies ebenfalls. Oberstes Ziel aller Maßnahmen ist aktuell der Schutz von Menschenleben und von Hab und Gut, soweit möglich. Auch Evakuierungen gehören dazu. Alle Einsatzkräfte in den Hochwasservorhersagezentralen, der Betreiber und des operativen Hochwasserschutzes leisten aktuell hervorragende Arbeit.

Planmäßig sind die Vorhersagezentralen vom DWD und der Bundesländer auch über das Hochwasserportal der Länder gut aufgestellt und leisten einen entscheidenden Beitrag. Durch eine bessere Harmonisierung der Alarmstufen (es gibt Bundesländer mit 3 und mit 4 Alarmstufen) wäre eine höhere Vergleichbarkeit gegeben.

Planmäßig sind auch der Vorhalt eines Hochwasserrückhalteraumes, eine Vorentlastung bei entsprechend langer Vorhersage oder die Ausnutzung des gewöhnlichen und/oder außergewöhnlichen Hochwasserrückhalteraumes in den Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken sowie die Öffnung des Pretziner Wehres an der Elbe bei Magdeburg. Die an der Elbe zusätzlich für den Abfluss in Anspruch genommenen Flächen sind vorausberechnet und ausgewiesen. Die Maßnahmen an den Talsperren und Rückhalteräumen sind erfolgreich und sorgen dafür, dass auch bei weiteren Niederschlägen noch Volumen zum Rückhalt zur Verfügung steht.

Nicht planmäßig sind „aufgeweichte“ Deiche, die noch nicht überströmt sind und deren Anstauhöhe und -dauer durch eine normgerechte Bemessung/Ertüchtigung abgedeckt sein sollten. Auftretende Schwachstellen müssen zur Sicherung der Deiche von Kräften des operativen Hochwasserschutzes im Rahmen der Deichverteidigung behoben werden. Hier muss im Nachgang fundiert analysiert und bei Bedarf nachgearbeitet werden. Bekannt ist, dass nicht alle Deiche in Deutschland auf dem aktuellen Stand der Technik entsprechend der DIN 19712 und dem Merkblatt DWA-M 507 „Flussdeiche“ Teile 1 und 2 sind. Viele Bundesländer verfolgen ein Deichsanierungsprogramm, in dem Flussdeiche im Laufe der Zeit priorisiert auf Stand gebracht werden. Verschiedenen Umständen geschuldet können nicht alle Deiche gleichzeitig saniert werden. Hier wirken sich zeitliche Verschiebungen und Verzögerungen aus haushälterischen Gründen und/oder sehr lange Planungs- und Genehmigungsverfahren aus.

Nicht planmäßig, aber auch nicht wirklich überraschend wären Deichüberströmungen oder Deichbrüche bei Abflüssen oder Wasserständen jenseits der Bemessungswerte. Nicht überraschend deshalb, weil man weiß, dass diese Extremwerte, wenn auch selten, jederzeit auftreten können und dann die Schutzmaßnahmen nicht mehr vollständig wirken. Bisher sind aber keine solchen Überströmungen von Deichen (ohne/ mit Deichbruch) bekannt. Dies gilt es im Nachhinein zu prüfen.

Aktuell unklar: Die großflächige Ausdehnung des Hochwassers im Wesereinzugsgebiet sollte Anlass geben, die meteorologisch- hydrologischen Ansätze zu überprüfen. Als Beispiel seien die Überflutungen im Mündungsbereich der Aller in die Weser durch die Überlagerung der Hochwasserwellen genannt. Auch die Ausstattung der Einsatzkräfte (Feuerwehr, THW, Katastro- phenschutz, DLRG, DRK, Polizei, Bundeswehr…) ist vor dem Hintergrund der Anforderungen des derzeitigen Hochwasserereignisses zu überprüfen. Dabei muss die Angemessenheit der personellen Ausstattung, verfügbaren Ressourcen sowie der Ausbildungsstand bewertet und Schlussfolgerungen gezogen und praktisch umgesetzt werden.

Im Nachgang gilt es, die oben genannten Aspekte im Sinne einer strukturierten Ereignisanalyse auseinanderzuhalten, um mögliche Gegenmaßnahmen und „Lessons Learned“ klar zu identifizieren. Dazu gehört insbesondere die Analyse der Schäden in Überschwemmungsgebieten, in denen jüngst noch gebaut wurde. Schlimmstenfalls entstand Bebauung in vermeintlich von Deichen geschützten Gebieten, die aber gegebenenfalls gar nicht den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Bundesweit gehen wir von einem jährlichen Wertzuwachs von circa 3 Prozent in Überschwemmungsgebieten oder Risikogebieten aus.

Nicht für alles, was wir aktuell sehen, muss der „Klimawandel“ als Erklärung herangezogen werden. Was wir jedoch sicher wissen, ist, dass Hochwasserereignisse gleicher Dauer und Höhe zukünftig häufiger auftreten werden beziehungsweise extremer ausfallen können. Inwiefern diese Fakten an diesem Hochwasser schon erkennbar sind, ist im Nachgang zu untersuchen.

Eine Ereignisanalyse muss umfassend sein und unter anderem auch die Kommunikationswege und Arbeit im operativen Hochwasserschutz betrachten. Mehr Investitionen in den Katastrophenschutz/operativen Hochwasserschutz scheinen sinnvoll und zweckmäßig, um mit vergleichbaren oder noch schlimmeren Lagen besser umgehen zu können. Dies erstreckt sich über die Ausstattung der Kommunen, der Feuerwehren bis zum THW.

Deichfachberater und technische Berater für Hochwasserschutz und Naturgefahren sind weiterhin auf hohem fachlichem Niveau auszubilden. Denn egal, ob es um die Stützung maroder Deiche, die ihrer Bemessungslast nicht mehr standhalten oder um die Ereignisbewältigung wie bei den Extremereignissen an der Ahr, in der Eifel oder an der Elbe geht, der operative Hochwasserschutz wird immer gebraucht.

Obwohl mit dem Nationalen Hochwasserschutzprogramm vom Bund circa 100 Million Euro jährlich seit 2016 für Maßnahmen zum Rückhalt des Wassers in der Fläche und/oder Deichrückverlegungen den Ländern zur Verfügung gestellt wird, gehen die Maßnahmen nur sehr schleppend voran. Dabei zeigen Positivbeispiele (zum Beispiel an der Lippe in NRW oder in Sachsen und Sachsen-Anhalt), dass gerade damit ein wichtiger Effekt zur Abschwächung von Hochwasserwellen erreicht werden kann. Am effektivsten wirken hier immer noch die Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken sowie ein gesteuerter Polder, der gezielt den Scheitel einer Hochwasserwelle kappen kann.

Es bedarf nicht nur dem Bau neuer, auf Bemessungsereignisse ausgerichteter Deiche, die Deichunterhaltung muss ebenfalls konsequent und planmäßig durchgeführt werden, damit die Deiche ihren guten Zustand beibehalten. Auch hierfür müssen Personal und Geld zur Verfügung stehen.

Autoren


Prof. Dr.-Ing. habil. Dirk Carstensen

Präsident Deutsches Talsperrenkomitee e. V. (DTK) und Sprecher DWA-Arbeitsgruppe Wasserbau und Wasserkraft 4.4 „Deiche an Fließgewässern“;


Prof. Dr. Robert Jüpner

Sprecher der Fachgemeinschaft Hydrologische Wissenschaften (FHGW) in der DWA


Dr.-Ing. habil. Uwe Müller

DWA-Vizepräsident, Vorsitzender des DWA-Hauptausschusses Hydrologie und Wasserwirtschaft


Dr.-Ing. Klaus Piroth

Obmann des DWA-Fachausschusses „Hochwasserrisikomanagement“


Prof. Dr.-Ing. habil. Reinhard Pohl

Obmann des DWA-Fachausschusses „Stauanlagen und Hochwasserschutzanlagen“, Mitglied DWA-Hauptausschuss Wasserbau und Wasserkraft


Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf

Obmann FA WW-6 „Bauwerksmanagement, DWA-Hauptausschuss Wasserbau und Wasserkraft