Revitalisierung von Flüssen, Auen und Feuchtgebieten
Naturbasierte Lösung zum Hochwasserschutz
Unter welchen Bedingungen wird Hochwasser für uns gefährlich – und ist es das auch für die Natur? Die Hochwassersituation in Teilen Deutschlands entspannt sich langsam. Dennoch wird es noch einige Tage dauern, bis die Flüsse wieder in ihr Bett zurückkehren. Doch wie breit ist ein natürliches Flussbett eigentlich? Wie können wir uns besser auf solche Extremereignisse vorbereiten und welche Maßnahmen nutzen Mensch und Natur gleichermaßen? Die aktuellen Hochwasserereignisse machen deutlich, dass wir beim Hochwasserschutz umdenken müssen, erklären Forschende des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB).
Für die meisten Menschen endet ein Fluss dort, wo Wasser auf Land trifft – an der Uferkante. Tatsächlich sind Flüsse aber viel ausgedehnter: Ihre natürlichen Überschwemmungsgebiete – die Auen – gehören bei Hochwasser dazu. Und auch die Flussbetten selbst waren ursprünglich breiter; das Wasser floss in mehreren Flussarmen und um viele Inseln, wie es sie heute zum Beispiel noch in der Loire und in der Weichsel gibt.
Mittlerweile sind in Deutschland nur noch 32 Prozent dieser Auen vorhanden (Bundesamt für Naturschutz 2021). Die restlichen 68 Prozent wurden durch Deichbau von den Flüssen abgetrennt, entwässert und zur Landwirtschaft oder für Siedlungen genutzt. „Deichbau und Entwässerung, die lokal sinnvoll waren, haben durch ihre flächenhafte Umsetzung dazu geführt, dass heute ganze Landstriche anfälliger für Hochwasserereignisse sind. Die Moorgebiete Niedersachsens zum Beispiel verzeichnen durch die Entwässerung großflächige Absenkungen der Geländeoberfläche um ein bis zwei Meter“, erklärt IGB-Forscher Dr. Martin Pusch. Dadurch erhöhen sich dort die möglichen Überflutungshöhen.
Hochwasser als Naturereignis
„Hochwasser sind ganz natürliche Ereignisse in intakten Flusslandschaften, die über Jahrtausende eine einzigartige Artenvielfalt und widerstandsfähige Ökosysteme geschaffen haben. Sie sind sogar Voraussetzung für lebenswichtige Funktionen – zum Beispiel für die Grundwasserneubildung. Für einen nachhaltigeren Schutz vor Hochwasser sollten daher nicht nur technische Maßnahmen, sondern zunehmend naturbasierte Lösungen im Fokus stehen“, berichtet Prof. Dr. Sonja Jähnig, Abteilungsleiterin am IGB und Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Erst der Bau von Siedlungen und Infrastrukturen in den Auen hat dazu geführt, dass aus einem eigentlich natürlichen Phänomen große materielle Risiken entstanden sind. Flussbegradigungen und zu dicht an Flüssen geführte Hochwasserdeiche ebenso wie großflächige Entwässerungen und Drainagen lassen Hochwasserwellen höher und schneller anschwellen. Zugleich tragen anthropogene Veränderungen wie die Folgen des Klimawandels, die zunehmende Bodenversiegelung und -verdichtung sowie der Gewässerausbau grundsätzlich zu einer Zunahme der Hochwasserhäufigkeit, -höhe und -fließgeschwindigkeit bei.
Begrenzte Schutzwirkung von Deichen und Rückhaltebecken
Technische Hochwasserschutzanlagen bieten keinen absoluten Schutz. Treten stärkere Regen- und Hochwasserereignisse auf als bei der Bemessung angenommen, werden sie schnell zum Problem. „Ein vorwiegend technisch orientierter und oft nicht nachhaltiger Hochwasserschutz stößt zunehmend an seine Grenzen, weil er erhebliche Restrisiken birgt, flussabwärts neue Risiken erzeugt und zudem die Umwelt schädigt“, erläutert die IGB-Forscherin.
Herkömmlicher Hochwasserschutz greift nicht nur stark in die Gewässerstruktur ein, er ist auch teuer, meist unflexibel und lässt sich nur schwer an die im Klimawandel zunehmenden Hochwasserereignisse anpassen. Zudem gehen wertvolle Lebensräume für viele Tier- und Pflanzenarten im und am Wasser verloren – und damit auch viele Vorteile für uns Menschen. „Wir brauchen deshalb deutlich mehr Hochwasserschutzkonzepte mit Mehrfachnutzen für Mensch und Umwelt“, rät Jähnig.
Prof. Dr. Sonja Jähnig
Abteilungsleiterin Aquatische Ökogeographie
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei
Naturnaher Hochwasserschutz ist wichtiger Teil der Lösung
Statt allein auf bauliche Maßnahmen wie Deiche oder künstliche Rückhaltebecken zu setzen, sollten also verstärkt sogenannte naturbasierte Lösungen (NbS, nature based solutions) zum Einsatz kommen. Sie sind meist multifunktional, das heißt sie dienen verschiedenen gesetzlichen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Zielen gleichzeitig – im Falle der Flussauen etwa der Klimaanpassung, der Erholung, dem Naturschutz oder der Biomasse-Erzeugung. Maßnahmen wie die Revitalisierung von Flüssen, Auen, Feuchtgebieten, Mooren und Wäldern oder die Entsiegelung von Flächen verbessern den Wasserrückhalt in der Landschaft und damit die Widerstandsfähigkeit gegenüber Hochwasserereignissen – aber auch gegenüber Dürren und Trockenperioden. Technische Hochwasserschutzmaßnahmen wie Deiche sollten hingegen vor allem auf Siedlungsgebiete beschränkt werden, aber nicht zum Schutz landwirtschaftlicher Flächen dienen.
Dr. Martin Pusch
Programmbereichssprecher Funktionelle Ökologie und Management von Flüssen und Seeufern
Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei